Aufmerksamkeit als neue Währung unserer Zeit

Die neue Währung des digitalen Zeitalters heißt Aufmerksamkeit. Sie bestimmt, welche politischen Botschaften sichtbar werden, welche Medien wirtschaftlich bestehen und wie Unternehmen ihre Kunden erreichen. Österreich zeigt diese Entwicklung besonders deutlich. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung bezieht Nachrichten inzwischen über algorithmisch kuratierte Feeds, wie der Digital News Report des Reuters Institute dokumentiert. Damit verlagert sich ein großer Teil der öffentlichen Wahrnehmung zu Systemen, die nicht journalistisch, sondern technisch priorisieren. Sichtbarkeit wird zum Produkt statistischer Berechnungen.

Empfehlungsalgorithmen folgen dabei Mechanismen, die in der Forschung klar belegt sind. Plattformen wie TikTok, YouTube oder Instagram analysieren Interaktionen und spielen Inhalte bevorzugt an Nutzer aus, die ähnliche Muster zeigen. Zahlreiche Studien – unter anderem des MIT und des Oxford Internet Institute – weisen nach, dass emotional betonte Beiträge signifikant höhere Engagement-Werte erzielen und daher verstärkt ausgespielt werden. Die Konsequenz: Sichtbarkeit entsteht nicht zwingend durch gesellschaftliche Relevanz, sondern durch algorithmische Attraktivität.

Diese Logik hat die politische Kommunikation in Österreich vollständig erreicht. Alle Parlamentsparteien produzieren Kurzformate, die auf hohe Interaktionswerte abzielen. Die ÖVP setzt auf professionell gestaltete Videos, die SPÖ versucht über TikTok jüngere Zielgruppen zu erreichen, die FPÖ erzielt auf Facebook und TikTok überdurchschnittliche Reichweiten, und die NEOS arbeiten mit pointiert-sachlichen Kurzformaten. Dies ist durch Medienbeobachtungen, Plattformstatistiken und universitäre Auswertungen gut dokumentiert. Parallel dazu betreiben Ministerien eigene Accounts und umgehen damit traditionelle Gatekeeper. Der Informationsfluss wird direkter, aber auch stärker von Plattformlogiken geprägt.

Medienhäuser stehen dadurch vor strukturellen Herausforderungen. Digitale Werbung fließt zunehmend zu globalen Plattformen, wie die RTR regelmäßig festhält. Redaktionelle Arbeit orientiert sich stärker an Faktoren, die im digitalen Wettbewerb entscheidend sind: Geschwindigkeit, Visualisierung und viralitätsorientierte Themenwahl. Die Gefahr besteht darin, dass journalistische Relevanz und algorithmische Relevanz auseinanderdriften – und letzteres die wirtschaftliche Existenz sichert.

Währenddessen versucht Europa, regulatorisch gegenzusteuern. Der Digital Services Act und der Digital Markets Act zielen darauf ab, Transparenz und Grundrechte zu schützen. EU-Kommissar Thierry Breton formulierte die Grundlogik dieser Regulierung mit dem inzwischen vielfach zitierten Satz: „What is illegal offline is also illegal online.“
Dieser Satz beschreibt die Ambition, im digitalen Raum klare Verantwortlichkeiten zu schaffen – allerdings ohne dass Europa über eine eigene technologische Plattformbasis verfügt. Die EU reguliert ein Umfeld, das sie nicht selbst konstruiert hat.

Statement

Wie sich politische Öffentlichkeit verändert

Die EU verweist in mehreren Analysen darauf, dass politische Informationsräume zunehmend divergieren. Nutzer bewegen sich je nach Plattform, Sprache, Altersgruppe und Interaktionsverhalten in getrennten digitalen Realitäten. Wahlkämpfe orientieren sich an diesen Fragmenten: Politische Kampagnen nutzen die gleichen Werkzeuge wie Unternehmen – Microtargeting, personalisierte Botschaften und algorithmisch optimierte Werbeformate. Die Grenzen zwischen politischer und kommerzieller Kommunikation verlaufen immer unschärfer.

Auch wirtschaftliche Akteure passen sich dieser Logik an. Unternehmen investieren verstärkt in Kurzvideos, Influencer-Kooperationen und algorithmisch angepasste Kampagnen. Aufmerksamkeit wird damit zu einer branchenübergreifenden Ressource. Politik, Medien und Unternehmen konkurrieren um dieselben wenige Sekunden im Feed.

Global betrachtet wird die strukturelle Abhängigkeit sichtbar: Der größte Teil der digital genutzten Infrastruktur – von sozialen Netzwerken bis zu Werbesystemen – stammt aus den USA. China wiederum setzt mit staatlich regulierten Plattformen geopolitische Akzente. Europa befindet sich in einer Zwischenposition: Es versucht, Grundrechte und Transparenz zu schützen, hat jedoch kaum eigene digitale Ökosysteme, die mit den globalen Konzernen konkurrieren könnten.

Für Österreich ergibt sich daraus eine zentrale Herausforderung. Die politische Öffentlichkeit verschiebt sich in digitale Räume, deren Funktionsweise nicht national gestaltet wird. Sichtbarkeit wird nicht durch lokale Medienstrukturen, sondern durch globale Plattformarchitekturen bestimmt. Demokratien benötigen jedoch gemeinsame Informationsgrundlagen – und genau diese geraten unter Druck, wenn Algorithmensysteme unterschiedliche Wirklichkeiten produzieren.

Die Frage lautet daher, ob es gelingt, einen öffentlichen Raum zu bewahren, in dem Orientierung möglich bleibt. Transparenzregeln, digitale Bildung und eine stabile Medienlandschaft könnten dazu beitragen. Doch ebenso entscheidend wird sein, ob Europa Wege findet, eigene digitale Räume aufzubauen, statt ausschließlich bestehende Systeme extern zu regulieren.

Fest steht: Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit ist längst ein Wettbewerb um Einfluss. Österreich steht dabei nicht am Rand, sondern im Zentrum einer Entwicklung, die Politik, Medien und Wirtschaft gleichermaßen verändert. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob dieser Wettbewerb so gestaltet werden kann, dass demokratische Entscheidungsprozesse nicht von algorithmischen Dynamiken überlagert werden.