Im Netz beleidigt: Kanzler Merz zeigte Hunderte Hass-Poster an
Die Empfindlichkeiten seines Gegenübers waren für den CDU-Politiker selten Anlass zur Rücksichtnahme. Merz liebt Klardeutsch. Seine Wortbeiträge von den "kleinen Paschas" (Söhne muslimischer Eltern), von den "Ausländern beim Zahnarzt" (die das Sozialsystem ausnutzen) oder das veränderte Stadtbild (durch die vielen Migranten) sind in die deutsche Debattenkultur eingegangenen. Jüngst sorgte er für bilaterale Verwicklungen, als er sich über das häßliche Brasilien ausließ.
Mit "Kritik" an der eigenen Person scheint der Regierungschef jedoch weniger klarzukommen. Wie die Welt am Sonntag zuerst berichtete, stellte Merz selbst oder ließ durch eine Agentur seit 2021 Hunderte von Strafanträgen wegen Beleidigung bei der Justiz stellen. Rigoros geht der Kanzler gegen alle vor, die ihn vor allem auf den einschlägigen Plattformen im Internet verunglimpfen, verleumden oder beleidigen.
Mit teils äußerst unangenehmen Konsequenzen für die "Hass-Poster": Die schriftlichen Beleidigungen "kleiner Nazi" und "drecks Suffkopf" führten immerhin zu Hausdurchsuchungen bei den Beschuldigten. Einer älteren körperbehinderten Frau im Rollstuhl wurde dabei sogar das Mobiltelefon eingezogen, obwohl sie dieses für ihren Kontakt zum Pflegedienst dringend benötigte.
Merz ist nicht der einzige Politiker in Deutschland, der die Sozialen Medien durch Polizeibeamte und Agenturmitarbeiter auf der Suche nach Beleidigungen durchforsten lässt. Vorreiter war hier der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck, der wegen der auf sich bezogenen Wertung "Schwachkopf" alle rechtsstaatlichen Mittel bis hin zur Hausdurchsuchung ausschöpfte. Ausgerechnet die Union von Merz wetterte damals heftig gegen die Überempfindlichkeit des Ober-Grünen und hat nun wegen der Sensibilität ihres Spitzenmannes gewisse Bauchschmerzen.
Eigener Politiker-Paragraf macht's möglich
Möglich sind solche Reaktionen durch Politiker dank einer besonderen und heftigst umstrittenen Sonderregelung im deutschen Strafgesetzbuch. Dort wurde der Paragraf 188 StGB eigens eingeführt. Er behandelt die "Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung", als Sondertatbestand. Mit dem von der Politik verabschiedeten Paragrafen stellten sich Politiker dezidiert über das normale Volk.
Auch in Österreich haben sich vor allem ehemalige Politiker inzwischen auf die Strafverfolgung von Hass-Postern im Netz spezialisierst, allerdings aus anderen Motiven heraus als ihre deutschen Kollegen. Ein früherer Top-Politiker betreibt damit sogar einen Teil seines Lebensunterhalts, weil er die von Österreichs Strafgerichten bislang völlig überzogenen Geldstrafen abzüglich der Anwaltshonorare einkassiert. Da gibt es dann auch kein Pardon für eine mittellose Pensionistin, die Tausende von Euro bezahlen musste.
Friedrich Merz hat das nicht nötig. Die eingetriebenen Bußgelder spendet er ausnahmslos für caritative Einrichtungen in seinem Wahlkreis. Die meisten "Beleidigungen" stellt die deutsche Justiz im Gegensatz zur österreichischen allerdings ohnehin ein.